Reformstau im 15. Jahrhundert?
Kirche und Welt vor der Reformation
100 Ablasstage für fromme Braunschweiger
Ablassurkunde für die Pfarrkirche St. Andreas in Braunschweig, Rom 1475; Herzog August Bibliothek, Urkundensammlung
Der einzige noch existierende Ablassbrief für die Pfarrkirche St. Andreas in der Braunschweiger Neustadt wurde am 10. Oktober 1475 in Rom ausgestellt. Die Urkunde gewährt insgesamt die hohe Zahl von einhundert Ablasstagen. Dafür sollen die Gläubigen an bestimmten Feiertagen die Messe in der Andreaskirche besuchen sowie für den Unterhalt und die Reparatur der Kirche spenden. Im Besonderen sollen die Spenden für den Kauf von liturgischen Büchern, Kelchen und Kerzen sowie für die Ausschmückung des Kirchenraums verwendet werden. Unter den Ablassgebern befinden sich insgesamt 17 Kardinäle, darunter auch die Kardinalbischöfe Rodrigo Borgia und Giuliano della Rovere, die als Alexander VI. und Julius II. zu den berühmt-berüchtigtsten Päpsten der Renaissance wurden.
Im späten 15. Jahrhundert gab es eine stetige Zunahme der Ablassbriefe wie auch der darin gewährten Ablasstage, vor allem um den gestiegenen Geldbedarf der Kurie zu decken. Der Erfolg der Ablassbriefe als Teil der so genannten materiellen Frömmigkeit, welche die spätmittelalterliche Gesellschaft prägt, wäre ohne die Angst der Menschen vor den Qualen des Fegefeuers nicht möglich gewesen. Doch gerade die Verbindung von Glauben und Geld rief die reformatorische Kritik hervor.