Angstbewältigung und geistliche Bücher
Das "Krisenmanagement" in den Städten
beschränkte sich keineswegs auf obrigkeitliche Ordnungsmaßnahmen;
bedeutsam war es vor allen Dingen, Trost zu spenden und die Angst
in Grenzen zu halten. Im Zentrum der Angstprävention standen
christliche Religion und Kirche. Die Stadtoberen selbst bewerteten
die "theologischen Hilfsmittel" als "vornehmste
und allerwichtigste Schutz-Mittel vor der Peste". Damit wollte
man sich nicht unbedingt der Verantwortung - und schon gar nicht
der Zuständigkeit - entziehen, sondern folgte der seit altersher
gültigen Meinung, daß das Auftreten von ansteckenden
Krankheiten und besonders der Pest im Kontext der christlichen
Botschaft bewertet und behandelt werden mußte. Demnach gehörten
Krankheit, Schmerz und Tod nach dem Sündenfall zum Leben
der Menschen; Seuchen wurden als Strafe Gottes für die Sündhaftigkeit
und den Ungehorsam der Menschen interpretiert. Die Kirche bewegte
sich damit zwischen moralischer Disziplinierung und Angstprävention.
Als erste und wirksamste Maßnahmen gegen die Pest betrachtete
man daher Frömmigkeitsübungen, Reue und Buße.
In den katholischen Regionen spielte auch die Heiligenverehrung
eine große Rolle. In den Gebieten des evangelisch-lutherischen
Glaubens hingegen, nach dessen Verständnis der Weg zum Heil
entscheidend über den demütigen Glauben führt und
nicht mehr über äußerliche gute Werke, erfüllten
Bücher - Erbauungs-, Trost- und Sterbeschriften - in den
schweren "Sterbensleufften" eine wichtige Funktion:
Sie ermöglichten Andacht und Gebet nicht nur innerhalb der
gottesdienstlichen Gemeinschaft, sondern richteten sich an den
individuellen Leser, der sich in der Hausandacht übte. Schon
in ihrer äußeren Erscheinung demonstrierten sie diesen
Verwendungszweck: in kleinen, nicht selten kleinsten Formaten
zum handlichen Gebrauch, oft aber auch in gefälliger Aufmachung
mit schönen Illustrationen, Goldschnitt, auch kunstvollen
Einbänden, verdeutlichen sie, daß sie mehr als ein
Gebrauchsbuch im herkömmlichen Sinn waren, vielmehr als Lektüre-Schatz
ein Leben lang wertgehalten wurden.