06. Mai 2020

Sie finden den Vortrag im Download-Bereich auf der rechten Seite. Christine Jakobi-Mirwald lässt uns hier am Beispiel eines mehrbändigen Buches aus Weißenburg den Herstellungsprozess von Büchern im frühen Mittelalter nachvollziehen. Da das schriftliche Format leider keinen Dialog zwischen Publikum und Autorin zulässt, haben wir Frau Jakobi-Mirwald im Vorfeld acht Fragen zu ihrem Forschungsthema gestellt.

HAB: In Ihrem Vortrag lassen Sie den Mönch Adeland und seine Zeitgenossen regelrecht lebendig werden. Wie entwickelt man einen so bildlichen, teilnehmenden Zugang zur Geschichte?

Christine Jakobi-Mirwald: Ganz einfach: durch die Lektüre guter historischer Jugendromane. Ich bin, unter anderem, mit Rosemary Sutcliff und Wiebke von Thadden aufgewachsen, und der Wunsch, zu wissen, ob das auch alles stimmt, war sicher nicht nur bei mir die Keimzelle für das Interesse an Geschichte und, später, das Studium. Sich diese ursprüngliche Neugier zu erhalten ist für mich übrigens eine wissenschaftliche Grundtugend.

 

HAB: Wie kamen Sie zu Ihrem Forschungsthema?

Christine Jakobi-Mirwald: Über Umwege, Zufälle und das große Glück, im richtigen Zeitpunkt auf die richtigen Menschen zu treffen, die mir dann auch zu scheinbar völlig abwegigen Entscheidungen geraten haben. Die einzige Konstante war dabei nicht die Kunst, sondern die Sprache, in erster Linie Mittellatein.

 

HAB: Was ist Ihr erster Schritt, wenn Sie beginnen, eine Ihnen noch unbekannte Handschrift zu untersuchen?

Christine Jakobi-Mirwald: Bilder anschauen. Möglichst viele, wenn es geht, ein Volldigitalisat, das wird ja von Tag zu Tag einfacher. Im Fall der vorbildlich erschlossenen Weißenburger Codices ist der ganze Katalogbeitrag einschließlich Einordnung und Literatur mundgerecht aufbereitet und mit bequemen Links versehen, was einem sehr viel Arbeit abnimmt. Ich lese mich ein, soweit es mit Internetressourcen und meiner eigenen Handbibliothek geht, und dann kommt die Bibliothek und idealerweise das Original. Diesmal leider nicht.

 

HAB: Wie sind Sie den Weißenburger Handschriften begegnet?

Christine Jakobi-Mirwald: Noch gar nicht, leider. Ich wusste von ihnen und habe sie näher kennengelernt, als Stefanie Westphal sie 2018 auf einer Tagung in Trier vorstellte. Auch mit einem schön lebendigen Titel übrigens: ,„Ubi sunt imagines“, was mich recht gefreut hat, weil er meinem so ähnlich war: „Is your picture really necessary?“ Dieses Zitat summiert die reservierte Einstellung des Hofgelehrten Theodulf von Orléans sehr zutreffend, indem es darauf hinweist, dass Bilder gar nicht so wichtig waren, wie wir heute meinen. Wie schön war es da, den Weißenburger Bestand, noch dazu unter diesem Titel, gleichsam als Bekräftigung zu erhalten.

 

HAB: Ist 14. Weiss. eine "typische" Weißenburger Handschrift des frühen 9. Jahrhunderts?

Christine Jakobi-Mirwald: Ja, weil sie nach Schrift und Ausstattung die Produktion ihrer Zeit gut repräsentiert. Darüber hinaus lehrt sie uns viel darüber, wie man damals mit der Aufgabe umging, ein Buch mit sehr viel Text zu produzieren. Man ging gar nicht zwangsläufig der Reihenfolge nach vor, man stattete auch die Teilbände gar nicht einheitlich aus, die Ausstattung ist sehr oft gar nicht durchgängig. Die Schrift war wichtig, und Buchschmuck dient zum einen zur Gliederung, zum anderen war er aber auch ein Würdezeichen für Bibel und Kirchenväterschriften.

 

HAB: Wo könnten Maler und Schreiber von 14. Weiss gelernt haben? Waren es vielleicht ein und dieselbe Person?

Christine Jakobi-Mirwald: Die Schreibstube war zwar noch jung, aber man hatte bereits Urkunden abgeschrieben, und wohl im Kloster auch schon Schreiber angelernt. Die oft gestellte Frage, ob Schreiber und Maler identisch waren, kann man aber nie sicher bejahen. Selbst wenn in einem kleinen Skriptorium immer der gleiche Schreiber und Zeichner zusammen auftreten, muss man mit „höchstwahrscheinlich“ arbeiten – beweisen lässt es sich nicht. Nicht einmal eine scheinbar eindeutige Schreiber- oder Stifternotiz würde Klarheit schaffen, denn „xy scripsit et pinxit“ kann auch heißen „xy hat Schreib- und Malarbeit in Auftrag gegeben.“

 

HAB: Welche Pergamentnaht bevorzugen Sie?

Christine Jakobi-Mirwald: Ach, man hat doch auch kein Lieblingskind! Das Nacharbeiten der Nähte hat viel Spaß gemacht und war enorm lehrreich. Manches konnte man durch genaues Hinschauen nacharbeiten und so etwas wie Nadelbinden dank Anleitungen aus der Living-History-Szene lernen. Aber diese knallbunten „Hohlsäume“ in umflochtenen, versetzten Hexenstichen kann ich nicht. Das ist wie beim Flechtbandzeichnen: es geht einfach nicht auf. Das Reenactment hat mich vor allem eins gelehrt: Demut.

 

HAB: Wenn Sie ein Getreuer Adelands wären … welches Handwerk in der Buchherstellung hätten Sie am liebsten ergriffen?

Christine Jakobi-Mirwald: Zunächst einmal bin ich sehr froh, dass ich damals nicht gelebt habe. Das war sicher nicht lustig, schon gar nicht als Frau. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir heute eine Freiheit genießen, die noch für unsere Großmütter unvorstellbar gewesen wäre. Im 9. Jahrhundert bewahrte nur der Gang ins Kloster eine Frau davor, schon als Teenager verheiratet zu werden, ein Leben lang härteste Arbeiten zu verrichten und dann womöglich bei der zehnten Geburt zu sterben. Um ins Kloster zu kommen, brauchte man aber auch eine Mitgift. Und auch, wenn Stundengebet, Chorgesang und Klosterarbeiten wohl das Beste war, was einer Frau damals passieren konnte – ich lebe ganz gerne heute. Wenn schon Frühmittelalter, dann lieber als Mann. Der ältere St. Galler Bruder, der alle herumdirigiert, alles besser weiß und am Schluss die Bücher bindet, klingt gut ...

 

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