4. Juli 2023
Im Wolfenbütteler Exemplar eines syrisch-arabischen Psalters von 1610 mit der Signatur Bibel-S. 4° 227 (Abb. 1 – Titelbild) gibt es eine solche Evidenz, eine lateinische Notiz, die besagt, dass der Patriarch von Damaskus und dem Libanongebirge dieses Buch 1612 einem Henning von Steinberg im Kloster bei den Zedern („propre Cedros“) geschenkt hat (Abb. 2).
Dieser Eintrag ergibt erst einmal mehr Fragen als Antworten zur Geschichte des Buchs. Wer war der Schenkende, der Patriarch von Damaskus? Wer war Henning von Steinberg? Wo lag das Kloster „propre Cedros“? Und letztendlich: Wie ist das Buch nach Wolfenbüttel gekommen?
Einen Hinweis auf das Kloster „propre Cedros“ bietet das Buch selbst: Auf der Titelseite ist ein bischöfliches Wappen mit der Umschrift "SERGIVS RISIVS ARCHIEPISCOPVS DAMASCENVS" abgebildet. Sergius Risius, bekannt unter seinem syrischen Namen Sarkis Rizzi (1572-1638), war maronitischer Bischof im Kloster Qozhaya, tief im Libanongebirge. Dort, im Wadi Qadischa, dem Tal der Klöster, befindet sich auch das Qannubin-Kloster, das Sitz der maronitischen Patriarchen von Damaskus war (Abb. 3).
Dieses dürfte das Kloster „propre Cedros“ sein. Spätestens 1609 wurde Youhanna Makhlouf (-1633) zum Patriarchen von Damaskus gewählt, nachdem sein Vorgänger, Youssef Rizzi, ein Bruder Sarkis, 1608 gestorben war. Er wird der in der Notiz genannte Patriarch sein.
Henning von Steinberg wurde laut zeitgenössischen Biografien, dem Lebenslauf in seiner Leichenpredigt und einer Kurzbiografie von Konrad Barthold Behrens (1660-1736), am 10. Juli 1584 vermutlich in Bodenburg (Bad Salzdetfurth) geboren. Zusammen mit seinem Bruder Johann Hilmar (1585-1648) studierte er ab 1602 in Leipzig, Basel und Orléans. 1608 hielt er sich kurz in Deutschland auf und wurde zum Domherrn in Halberstadt ernannt. Anschließend zogen die Brüder nach Italien. In Venedig entschloss sich Henning, nach Konstantinopel und ins Heilige Land zu reisen. In einer kleinen Gesellschaft ging es nach Jerusalem. Vermutlich auf dem Weg dorthin besuchte er das Qannubin-Kloster im Wadi Qadischa. Die mehrere Jahre dauernde Rückreise führte ihn über Kairo, Malta, Sizilien und Neapel zurück in die Heimat. Diese lange Reise qualifizierte ihn danach zu höheren Hofämtern im Fürstentum Braunschweig- Wolfenbüttel. Er starb am 14. Februar 1639 in Halberstadt.
Nach einer Notiz im Buchdeckel (aus dem 17. oder 18. Jahrhundert) ist das Buch, das er als Souvenir mitgebracht hatte, ein „Psalterium Davidis regis et Prophetae, Syrice excusum“. Es entpuppt sich als echte Rarität, die als „Psalter von Quzhaya“ bekannt ist: Eine zweisprachige, syrisch-arabische Ausgabe des Psalters und der Propheten, die 1610 im Kloster Quzhaya gedruckt wurde. Nur sechs Exemplare sind bekannt. Der Text in beiden Sprachen wurde mit syrischen Typen gedruckt – eine gängige Praxis bei liturgischen Texten maronitischer Christen. Die Verschriftlichung arabischer Texte mit syrischer Schrift wird Garschuni genannt.
Der Psalter gilt als erstes in der Levante-Region gedruckte Buch. Drucker war ein Pasquale Eli aus Camerino, dem ein Diakon namens Youssef ibn Amimeh aus Karmsaddé half. Herausgegeben wurde die Schrift vom Sarkis Rizzi.
Auf den letzten Seiten des Psalters schreibt Youssef ibn Amimeh, dass Sarkis Rizzi ihn auf eigene (sicherlich sehr hohe) Kosten drucken ließ. Aufwändig war besonders der Schnitt von zwei syrischen Satzschriften in der westlichen Variante Serto - andere Drucke mit diesen beiden Schriften sind nicht bekannt. Umso erstaunlicher, dass die Exemplare offensichtlich verschenkt wurden (wie am Beispiel von Steinberg zu sehen ist).
Trotz – oder wegen – seiner Rarität ist der Psalter der Bibel-Forschung lange bekannt. 1811 erwähnt Christian Friedrich von Schnurrer (1742-1822) ein Exemplar in der Privatbibliothek seines Freundes Jacob Bruns (1743-1814), des letzten Bibliothekars der Universitätsbibliothek in Helmstedt.
30 Jahre später erwähnt Henry Cotton (1789-1879) ein Exemplar in Helmstedt und jenes von Bruns. Im alten Helmstedter Katalog ist der Psalter nachgewiesen (Abb. 4).
Eine alte Signatur belegt, dass der Band schon vor 1770 im Bestand der Bibliothek war. Im Wolfenbütteler Exemplar ist jedoch keine Helmstedter Signatur zu finden – was sehr ungewöhnlich ist. Handelt es sich um das Privatexemplar von Bruns? Und wo ist dann das Helmstedter Exemplar?
Sicher ist, dass der Band 1858 nicht mehr in Helmstedt war. Bereits 1832/33 hatte die Herzogliche Bibliothek in Wolfenbüttel eine Reihe von Büchern aus Helmstedt übernommen, wie eine handschriftliche Liste (HAB BA III,151) belegt. Auch der Psalter ist dort aufgeführt. Das Wolfenbütteler Exemplar kommt also aus Helmstedt, auch wenn es im Band keine Evidenzen gibt. Und das angebliche Bruns’sche Exemplar dürfte dasselbe Buch sein.
Henning von Steinberg starb kinderlos. Die mutmaßlichen Erben, seine Brüder Johann Hilmar und Adolph (1594-1660), errichteten zwar ein Epitaph für ihn. Wohin sein Nachlass kam, ist aber unbekannt – und so bleibt auch im Dunkeln, in wessen Besitz der Band zwischen 1639 und ca. 1770 war, bevor er über Helmstedt nach Wolfenbüttel kam.
Literatur:
Behrens, Konrad Barthold. Genealogische und zum Theil historische Vorstellung des Uhrsprungs und Fortstammung Einiger uhralter, wohlgebohrner hochadelicher Häuser … Sonderlich derer von Steinberg … Hannover und Wolfenbüttel : zu finden bey Gottfried Freytag, 1703
Bohne, Conrad Johann. Iusta Steinbergiana Das ist/ Christliche Leich- und Trostpredigt. Bey dem Adelichen Begräbniß/ Der ... Frawen Annen/ Gebornen Postinnen/ Des ... Jobsten von Steinberg sel. auff Bodenburg/ [et]c. Erbgesessenen/ nachgelassenen Wittwen/ [et]c. Welche Ann. 1639. am 22. Martii ... selig verschieden: Wie auch Des ... Herrn Henning von Steinberg/ ... Welcher den 14. Februarii vorher/ ... diese trübselige Welt gesegnet ... Hildeßheimb : bei Joachim Gössel, 1639
Cotton, Henry. A typographical gazetteer. 2nd edition. Oxford : University Press. 1 (1831)
Moukarzel, Joseph. Le psautier syriaque-garchouni édité à Qozhaya en 1610. Enjeux historiques et présentation du livre. In: Mélanges de l'Université Saint-Joseph. LXIII (2010/11).
Schnurrer, Christian Friedrich von. Bibliotheca arabica. Halae ad Salam : Typis et Sumtu J.C. Hendelii, 1811