Aber an wen wird eigentlich erinnert? Wer war Martin Luther? Auf diese nur scheinbar triviale Frage sind in den vergangenen 500 Jahren sehr unterschiedliche Antworten gegeben worden. Noch zu Lebzeiten wurde aus der Person Martin Luther eine Figur, die nicht nur Gegenstand von kultischer Verehrung und erbitterter Anfeindung war, sondern in wechselnden sozialen, politischen und ökonomischen Zusammenhängen auch als Instrument der Legitimierung und Medium der Identitätsstiftung diente. Es entstand eine Vielzahl von Lutherbildern, die zum Teil bis heute wirksam geblieben sind: Heiliger, Ketzer, Prophet, Antichrist, Kirchenvater, Kirchenspalter, Aufklärer, Antisemit, Genie, Scharlatan, Nationalheld, Fürstenknecht.
Die Ausstellung Luthermania – Ansichten einer Kultfigur möchte zeigen, dass diese Lutherbilder eine Herkunft und eine Geschichte haben, dass sie geformt sind von der sozialen und politischen Lage, von kulturellen Entwicklungen und Krisen der jeweiligen Zeit. Die Exponate, die in der Ausstellung vorgestellt und in einem 400 Seiten starken Katalog erläutert werden, erzählen mithin wenig über die Person Luthers. Vielmehr waren sie materielle Agenten, die die Aufgabe hatten, eine bestimmte, mit Vorannahmen, Wertzuschreibungen, Idealen und Absichten behaftete ›Sichtbarkeit‹ her zu stellen – eine vieldeutige, komplexe und womöglich widersprüchliche Person zu einer klar konturierten, eindeutigen, ja evidenten Figur zu reduzieren. Kurz gesagt: Sie haben ›Luther‹ gemacht. Daher sind sie mehr als nur materielle Zeugnisse vormodernen Geisteslebens: In ihrer Zeit ›vermittelten‹ sie nicht einfach vorgängige Lutherbilder, sondern stellten sie in dem Maße her, wie sie Teil sozialer Kommunikationspraktiken waren. Als Elemente in Praktiken des Lesens und Sprechens, des Zeigens und Verbergens, des Warenhandels und des Gabentauschs, der Verehrung, der Kritik und der Schmähung haben alle diese Objekte aktiv an der Entstehung, Verbreitung und dem Wandel der
Vorstellungen über Luther mitgewirkt.
Die Ausstellung, die am 15. Januar 2017 mit einer Festrede der Luther-Biografin Lyndal Roper eröffnet wurde, war bis zum 18. Juni 2017 in der Augusteerhalle, der Schatzkammer und im Kabinett der Bibliotheca Augusta zu sehen.
Bitte beachten Sie auch die virtuelle Ausstellung: www.luthermania.de
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Luthermania – Ansichten einer Kultfigur, hrsg. von Hole Rößler, Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek Nr. 99 (Wolfenbüttel 2017), 408 Seiten mit 213 Farbabb., geb. € 39,80 ISBN: 978-3-447-10712-9, broschierte Ausgabe, nur in der Ausstellung: € 20,-.