Die Tagebücher des reformierten Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg (1599–1656) aus dem Zeitraum von 1621 bis 1656 stellen unter den Ego-Dokumenten unterschiedlichster Art in dieser Epoche sicherlich eine der wichtigsten Quellen dar. Sie dokumentieren nicht zuletzt auch das Selbstverständnis, die Mentalität und das Statusbewusstsein eines Hochadligen inmitten des Chaos des Krieges. Christian war zwar nach 1620 (er wurde in der Schlacht am Weißen Berg von den Kaiserlichen gefangen genommen) mehr Beobachter des Krieges als politischer oder gar militärischer Akteur, aber gerade das verleiht seinen Aufzeichnungen ihren besonderen Wert, da er durchgehend mit den Vertretern der meisten kriegführenden Parteien, also nicht nur des protestantischen Lagers, im Gespräch blieb.
Die internationale Tagung will die Diarien in vergleichender adelsgeschichtlicher Perspektive bewerten und deuten. Ordnen sie sich in ein verbreitetes Muster adliger Selbstvergewisserung und Selbstinszenierung ein, oder haben wir es hier am Ende doch mit einem Ausnahme- und Sonderfall zu tun? Der Blick richtet sich dabei u. a. auf die Erfahrungen des persönlichen Scheiterns, die in Christians Aufzeichnungen einen so prominenten Platz einnehmen, aber auch auf sein grundsätzliches Rollenverständnis nicht zuletzt aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive. Die Maskulinitätsvorstellungen des Anhaltiners sollen dabei vor allem mit dem Selbstverständnis prominenter Fürstinnen kontrastiert werden.
Zur Sprache kommen aber auch Aspekte der Konstruktion konfessioneller Identität, die für Christian II. ein wichtiges soziales Kapital darstellte. Mit seiner Kaisertreue und seiner Ablehnung eines Religionskrieges könnte man in ihm auf den ersten Blick durchaus ein Beispiel für konfessionelle Ambiguität, wenn nicht gar Indifferenz sehen, wird damit aber seiner persönlichen Frömmigkeit, die sich freilich mit einem ausgeprägten „magischen Weltbild“ verband, wohl nicht gerecht. Schließlich wird die Bewältigung von Gewalterfahrungen durch Christian verglichen mit entsprechenden Darstellungen in anderen Selbstzeugnissen der Frühen Neuzeit.
Die Tagung setzt sich das Ziel, die Tagebücher, deren digitale Edition durch die HAB und das Freiburger Team um Prof. Ronald G. Asch vor dem Abschluss steht, im Kontext der wissenschaftlichen Diskussion über den Dreißigjährigen Krieg und seine erfahrungsgeschichtliche Dimension genauso wie in der Forschung zur Welt des frühneuzeitlichen Adels zu verorten und sie in der wissenschaftlichen Debatte dauerhaft zu verankern.
Das Programm mit Hinweis auf den Abendvortrag von Prof. Dr. Ronald Asch am 25.09.2024, 19.00 Uhr im Gartensaal des Lessinghauses, finden Sie im Downloadbereich.
Bild: Porträt Fürst Christians II. von Anhalt-Bernburg
[Bildnachweis: Museum Schloss Bernburg, Gemäldesammlung, Inv. Nr.: VIa/59/44; Aufnahme: Fotostudio Creativ, Bernburg.]