29. Januar 2025

Unter dem Datum des 4. Juni 1960 erwarb die Herzog August Bibliothek ein schmales Bändchen mit dem Titel „Naturalisme et mysticisme chez D. H. Lawrence“ von Saul C. Colin. Der Druck war 1932 in Paris erschienen und entsprang vermutlich einer aus Verehrung für den berühmten Literaten gespeisten Liebhaberei des Verfassers. Colin (geboren 1898 in Bukarest, gestorben 1967 in New York) war Franzose jüdischer Abstammung, hatte 1929 in Lyon den Grad des Magister Artium erworben und war 1931 in Paris zum Doktor der Philosophie promoviert worden. Schriftstellerisch in Erscheinung getreten war er bis dato vor allem als Theaterkritiker. Er blieb der darstellenden Kunst als Bühnenautor, Regieassistent, Theaterpädagoge und Produzent für Theater und Film lebenslang verbunden.

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Filmplakat zu Fritz Langs „Le Testament de Dr. Mabuse“

Anfang der 1930er Jahre wirkte Colin gemeinsam mit René Sti als Assistent der Regie an der Produktion von „Le testament du docteur Mabuse“ mit, der französischen Fassung von Fritz Langs (1890–1976) berühmtem Meisterwerk. Das Drehbuch stammte aus der Feder von Thea von Harbou (1888–1954). Lang und Harbou, seit 1922 miteinander verheiratet, lebten zu dieser Zeit bereits seit längerem voneinander getrennt, blieben aber bis zur Auflösung der Ehe im April 1933 einander durch eine produktive Arbeitsgemeinschaft verbunden.

Colin muss die Zusammenarbeit mit beiden Persönlichkeiten sehr beeindruckt haben. Ob ihm deren tatsächlicher „Beziehungsstatus“ bekannt war oder nicht – er widmete beiden gemeinsam ein Exemplar seines Büchleins über D. H. Lawrence‘ Naturphilosophie, nämlich jenes, das sich heute im HAB-Bestand befindet. Auf dessen Titelblatt befindet sich die handschriftliche Widmung: „A Madame et Monsieur Fritz Lang avec mes hommages et mon entière admiration et tout dans la foie de notre proche collaboration. SaulCColin Paris le 18 Sept. 1932“. Dass Colin mit der Anrede „Madame et Monsieur Fritz Lang“ einem überlieferten Rollenbild, das sich auch in der bekanntermaßen emanzipierten Kulturszene des Paris der 1920/1930er Jahre noch immer zu spiegeln scheint, Rechnung trägt, mutet etwas kurios an. Möglicherweise war ihm der Name von Langs Gattin im Moment der Abfassung des Widmungstextes einfach nicht geläufig, so dass er sich zu dieser „Umschreibung“ entschloss.

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Widmung von Saul C. Colin im in der HAB vorhandenen Buch

Ob das Buch aus der Bibliothek Fritz Langs oder dem Nachlass seiner damaligen Ehefrau stammt, wissen wir nicht. Lang selbst, dessen Filmkunst von den Nationalsozialisten geschätzt, von Joseph Goebbels bewundert wurde und den letzterer nur allzu gern in seine Dienste genommen hätte, entzog sich dem Einfluss der neuen Machthaber zunächst, indem er eine Zeitlang zwischen den europäischen Metropolen Paris, Berlin und London pendelte. Seine letzte Arbeit in Europa war der 1934 in der französischen Hauptstadt gemeinsam mit Eric Pommer produzierte Spielfilm „Liliom“, bevor er noch im selben Jahr in die USA übersiedelte. Zweifellos hätte der Regisseur, der sich weigerte, seine Kunst der Nazi-Ideologie unterzuordnen, in der Folge mit Berufsverbot und Schlimmerem rechnen müssen. Die rechtzeitige Emigration gestattete ihm, ohne Verlust seines Vermögens Deutschland zu verlassen. Über einen eventuellen NS-verfolgungsbedingten Entzug von Teilen seines Besitzes ist nichts bekannt.

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Fritz Lang und Thea von Harbou in der gemeinsamen Wohnung

Im Gegensatz zu Lang entschied sich Thea von Harbou, in die Dienste der Nationalsozialisten zu treten. Sie wurde noch im Jahre 1933 Vorsitzende des offiziellen, gleichgeschalteten „Verbandes deutscher Tonfilmautoren“ und trat später auch der NSDAP bei. Als Schauspielerin, Drehbuchautorin, Regisseurin und Schriftstellerin avancierte sie zu einem der prominentesten und einflussreichsten weiblichen Mitglieder des NS-Kulturbetriebs. Nach dem Ende der NS-Diktatur wurde sie im Zuge der Entnazifizierung zunächst interniert, war aber später wieder in ihrem Metier tätig, indem sie ausländische Filme für den deutschen Markt synchronisierte. Vermutlich befand sich das Buch in ihrem Besitz, als sie 1954 in ihrer Wahlheimat Berlin an den Folgen eines Unfalls starb, und wurde als Teil ihres Nachlasses an die Galerie Rosen abgegeben, bevor es sechs Jahre darauf von der Herzog August Bibliothek erworben wurde.


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