Rundgang

 

 

 

 

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IV. Die Heiler -
Erklärung, Diagnose, Prophylaxe und Therapie von ansteckenden Krankheiten

Die Beurteilung und Behandlung von ansteckenden Krankheiten lag in den Händen einer sehr heterogenen Personengruppe. Neben der akademischen Medizin sind die Wissensbestände der halbprofessionellen Heiler, etwa der Handwerkerärzte oder Chirurgen, ebenso zu berücksichtigen wie die einer unüberschaubaren Gruppe von Laienheilern und -heilerinnen: der weisen Frauen, Theriackskrämer, Markschreier und Harnbeschauer, die aus dem Arsenal eines großen praktischen Erfahrungsschatzes schöpften. Nicht zu vergessen ist die dominierende Rolle, die die "geistliche Medizin" in der Bewertung und Behandlung von Seuchen spielte.
Bis weit in die Neuzeit hinein deutete man die Ursachen der ansteckenden Krankheiten sowohl als Ausdruck von übernatürlichen wie auch natürlichen Ereignissen. Nicht nur innerhalb der Volksreligiosität wurden Seuchen an erster Stelle als Strafe Gottes für die sündige Menschheit bewertet. Nach der seit der Renaissance gültigen neuplatonischen Welterklärung, die von der grundlegenden Analogie von Makro- und Mikrokosmos ausging, setzte man das menschliche Dasein in eine enge Beziehung zum Geschehen des die "kleine" Lebenswelt des Menschen umgebenden Kosmos. Bestimmte Planetenkonstellationen sollten zu einer Vergiftung der Luft und zu Störungen der Stoffgleichgewichte, mithin auch zum Ausbruch von Seuchen führen. Einige Sammelbände der Herzog August Bibliothek verdeutlichen, wie eng diese Zusammenhänge im Denken der Menschen verknüpft waren: so faßte man Schriften über einzelne Seuchen wie Huttens Werk über die Syphilis oder Steinhöwels erste deutschsprachige Pestmonographie mit populären astronomischen Werken, Kalendern und Prognostiken, physisch in einem Sammelband zusammen. Steinhöwels Pestbuch wird daher in der heute noch nach den ursprünglichen Bestandsgruppen geordneten Bibliothek Herzog Augusts in der Gruppe "Astronomica" aufbewahrt, nicht bei den "Medica".
Neben diesem in unserer Zeit als Miasmatheorie bezeichneten Erklärungsmodell entwickelte sich besonders seit dem 16. Jahrhundert der Gedanke der Infektiosität dieser Krankheiten durch ansteckende Partikel, Samen oder Keime und wurde in der sog. Contagionslehre weiter ausgebaut. Die in der puren Erfahrung seit alters her immer wieder bestätitgte Infizierung spielte noch vor aller Theorie eine große Rolle im praktischen Verhalten der Kranken und Heiler wie auch bei den obrigkeitlichen Maßnahmen, die das Ausbreiten der Seuchen in den Städten zu verhindern hatten. Auch die Wissenschaft untersuchte, teils auf empirischem Weg, wie die Studien von Athanasius Kircher zeigen, die Möglichkeit der Übertragbarkeit von Krankheiten. Kircher wie auch andere Zeitgenossen stellten in diesem Zusammenhang auch eine Verbindung der Pest mit dem Vorkommen von Insekten und Ratten her, ohne daß man jedoch den erst seit Ende des 19. Jahrhundert bekannten Übertragungsweg auf die Spur kam.


 
 

 

© Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 2005