31. Juli 2024
Ein Neufund soll im Folgenden näher vorgestellt werden: Ephraim Heermanns „Geziemende Einnahme“ (1689). Bedeutung kommt dieser Gelegenheitsschrift, die kurz nach Philipp von Zesens Tod am 23. November 1689 erschien, in doppelter Hinsicht zu: Erstens bietet sie nähere Einblicke in das Verfahren, mit dem der Liegnitzer Rektor Ephraim Heermann (1621–1689) am
12. März 1676 unter dem Gesellschaftsnamen „Der Trachtende“ in die von Zesen mitgegründete Deutschgesinnte Genossenschaft aufgenommen wurde. . Zweitens enthält der Druck ein bisher nicht bekanntes ‚Gelegenheitsgedicht‘ Philipp von Zesens, mit dem dieser ex post auf Heermanns Aufnahme in die Deutschgesinnte Genossenschaft reagiert.
Der Druck umfasst insgesamt drei Gedichte. In seiner „Einwerbung“ (Bl. 1v–2r) wendet sich Heermann an Zesen, stellt sich als Sohn des Kirchenlieddichters Johann Heermann (1585–1647) und als Bewunderer von Zesens Schriften vor: „Weil vom Vater dem Poet| Erblich was auf mich geronnen/| Hab ich ZESE/ Seine Flött/| Als ein Jüngling lieb gewonnen/| Auch bei meinen Amptes-Triften| Mich ergetzt an Seinen Schriften.“ Für die Aufnahme in die Deutschgesinnte Genossenschaft habe sich wiederum Heermanns „Patron“ Georg von Schöbel und Rosenfeld (1640–1680) stark gemacht. Heermann bittet abschließend um ein befürwortendes „Schlußwort“ und damit die endgültige Aufnahme durch Zesen.
Dieser reagiert mit einem Gedicht, das im Zentrum der „Geziemenden Einnahme“ steht. Der Zwischentitel (Bl. 2v) lautet: „Glückwünschende Lilien-Worte/ Zum neulich verfertigten Lilien-Krantze/ des in Wahrheit Edlen und Hochgelehrten Schlesiers/ Herrn Ephraim Heermanns/ Der Fürstl. und Stadt-Schule in Liegnitz treufleißigen Ober-Lehrers u. a. m. Dadurch Er im 1676. Heil-Jahre im Zwelfften des Lentz-Mondens/ der Hoch-preißwürdigen Deutschgesinnten Genossenschaft Liljen-Zunft einverleibet wurde“. Auffällig ist, dass Zesens Gedicht (Bl. 3r–3v) nicht allein Heermanns Aufnahme, sondern die Aufnahme zweier Neumitglieder bestätigt: „In dehm das Edle Liegnitz ihm reicht zwo Edle Sprossen/ […] Und träget Beid ins Zunft-Buch stracks nach dem Dritten ein/| Im jüngsten Liljen-Sitze“. In der hier vorliegenden, bisher einzig bekannten Fassung der „Glückwünschenden Lilien-Worte“ wird das zweite Neumitglied allerdings nicht namentlich benannt. Vielmehr folgen auf eine Passage zum Hergang von Heermanns Aufnahme, seinem Gesellschaftsnamen und seinem Sinnbild vier abschließende Verse, die – nun wiederum für beide Neumitglieder – Wünsche formulieren („Der Himmel übergüsse die neuen Liljen-Glieder | Mit seinem GnadenSeegen“). Vor diesem Hintergrund liegt die Vermutung nahe, dass Heermann den Titel des Gedichts vor der Publikation ‚singularisiert‘ und kürzend in den Text eingegriffen hat. Da ein vorangehender Druck von Zesens „Glückwünschenden Lilien-Worten“ (und Hermanns „Einwerbung“) aus den 1670er Jahren bisher nicht belegt ist, dürfte der Abdruck in der „Geziemenden Einnahme“ einer handschriftlichen – und von Herrmann nachträglich bearbeiteten – Fassung folgen. Bei dem im vorliegenden Druck namentlich nicht Genannten handelt es sich offenbar um Wenzeslaus Kahl (1645–1704), der im Mitgliederverzeichnis der Deutschgesinnten Genossenschaft von 1676 als viertes Mitglied des siebten Zunftsitzes der Lilienzunft gelistet ist. Kahl zählt zudem – neben Heermann und Schöbel – zu den Widmungsempfängern von Zesens „Niederländischem Leue“ (1677).
Auffällig ist darüber hinaus, dass Zesen die Gelegenheit – Heermanns Aufnahme in die Deutschgesinnten Genossenschaft am 12. März 1676 – erst nachträglich bedichtet hat. So hebt eine nachstehende Anmerkung zu seinem Gedicht die merkliche zeitliche Verzögerung zwischen Anlass und lyrischer Produktion hervor: „Dieses bezeugete mit hiesigen eilfärtigen Unlehrsetzmässige steigenden Reim-Zeilen/ in der Hochpreißwürdigen Deutschgesinnten Genossenschaft Stiftungs-Stadt Hamburg/ am 25. des Herbst-Mohndens im 1678. Jahre nach der HeilGeburth/ nach der Stiftung aber Hochgemeldter Genossenschaft im 33. Philip von Zesen.“ Da sich die beiden Jahresangaben – 1678 bzw. 1676 (die Deutschgesinnte Genossenschaft wurde 1643 gegründet) – nicht decken, dürfte bei einer der beiden Datierungen ein Druckfehler vorliegen. Ob das Gedicht auf den 25. September 1676 oder den 25. September 1678 zu datieren ist, muss vorläufig offenbleiben.
Heermanns Epicedium auf Zesens Tod am 23. November 1689 („Alcaische Klag-Ode über Ableben des Hochwürdisten [sic] Zunft-Hauptes“, Bl. 3v–4v) beschließt die „Geziemende Einnahme“. Da eine zeitnahe Publikation des Trauergedichts naheliegt, dürfte die Gelegenheitsschrift kurz nach Zesens Tod erschienen sein. Ephraim Heermann selbst verstarb bereits wenige Wochen später am 21. Dezember 1689. In ihrer Zusammenstellung markieren die drei Gedichte den Beginn und das Ende der literarischen und sprachgesellschaftlichen Verbindung zwischen Heermann und Zesen. Auch Georg von Schöbel und Rosenfeld, Heermanns bereits 1680 verstorbener Förderer, wird im Epicedium genannt. Damit hebt der Gelegenheitsdruck gleich mehrfach die für Heermanns Aufnahme in die Deutschgesinnte Genossenschaft maßgebliche Dreieckskonstellation hervor. Abschließend richtet das Gedicht wiederum den Blick in die Zukunft der Deutschgesinnten Genossenschaft: „Ihr Zunfft-Genossen zeigt mir das neue Haupt/ Daß meiner Harffen auch sei ein Lied erlaubt/ Die Asche Zesens wird erfreuet/ Dadurch ein Haupt sich die Zunft erneuet.“
Titelbild: Porträt des Philipp von Zesen (1619-1689). Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Porträtsammlung, A 24772
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